
Frankfurt am Main
Frankfurt am Main bildete mehr als ein halbes Jahrhundert den Lebensmittelpunkt von Therese und Aron Freimann. Beide waren auf vielfältige Weise mit der Stadt, ihrer jüdischen Gemeinde sowie mit dem kulturellen, intellektuellen und gesellschaftlichen Leben verbunden.
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Therese Freimann entstammte einer angesehenen Frankfurter jüdischen Familie. Ihr Vater, Dr. Markus Horovitz, war Rabbiner der Börneplatz-Synagoge, die dem orthodoxen Flügel der Frankfurter Gemeinde diente. Aron Freimann, der ebenfalls aus einer angesehenen Rabbinerfamilie kam, schloss sich nach seiner Ankunft in Frankfurt der Börneplatz-Synagoge an. In den folgenden Jahrzehnten übernahm er in der Synagoge wie in der Israelitischen Gemeinde zahlreiche Ämter. Im Frühjahr 1939 diente er als letzter Gemeindevorsitzender.
Therese und Aron Freimann waren verwandtschaftlich verbunden und heirateten 1905; ihre Tochter Helene wurde 1906 geboren. Die Familie lebte stets in Laufnähe zum Börneplatz und zur Stadtbibliothek. Die enge Verbundenheit zwischen den Freimanns und der Familie Horovitz zeigen die hier in Auswahl gezeigten Familienbriefe aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, an Thereses Mutter Auguste und einen ihrer Brüder, Siegfried, der sich in Kriegsgefangenschaft befand.
Aron Freimanns enge Verbindung mit Frankfurt fand außerdem Ausdruck in einer gemeinsam mit Isidor Kracauer verfassten jüdischen Geschichte Frankfurts, die als Teil der Jewish Community Series der Jewish Publication Society 1929 in Englisch erschien.
Objekte der Ausstellung

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Frankfort (JPS Jewish Community Series)
Aron Freimann, F. [Isidor] Kracauer | Philadelphia 1929 - Familienbriefe 1915–1918 (Collage)
Jüdisches Museum Frankfurt, Sammlung Saltiel -
Synagoge am Börneplatz
Ansichten von Frankfurt a. M.: Zur Erinnerung an den V. Verbandstag der jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reiche
Frankfurt am Main | 26.-29. Dezember 1910 -
Geburtsanzeige Helene Freimann
Frankfurter Zeitung und Handelsblatt | 23.1.1906, S. 3
(Zweites Morgenblatt) -
Familien-Meldekarte von Aron Freimann
Nullkartei, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
(ISG FFM), A.12.02 Nr. F12003 -
Wohn- und Wirkungsstätten der Freimanns
Basis: Pharus-Plan Frankfurt am Main | Maßstab 1:10.200
Berlin 1925 (Gestaltung: David Wolf)
Bildnachweis
- Portrait Aron Freimann (ca. 1930), in: Festschrift zum 60. Geburtstag (1931)
- Auszug Familien-Meldekarte von Aron Freimann
- Therese Freimann, Brautbild (1905), in: Rachel Heuberger, Aron Freimann (1871-1948)
- Synagoge am Börneplatz




Wissenschaft
Aron Freimann galt zu Lebzeiten als herausragender Wissenschaftler, insbesondere im Bereich der jüdischen Buchgeschichte und Bibliographie. Als Leiter einer der bedeutendsten Sammlungen jüdischer und hebräischer Literatur war er stets beides, Bibliothekar und Wissenschaftler.
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Freimann war ein Vertreter der Wissenschaft des Judentums, jener jüdischen Wissenschaftsbewegung, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Grundlagen der heutigen Jüdischen Studien schuf. Ganz typisch hatte Freimann sowohl an der Berliner Universität als auch am dortigen orthodoxen Rabbinerseminar studiert. Er engagierte sich in zahlreichen jüdischen wissenschaftlichen Institutionen wie der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums und war national wie international hervorragend vernetzt. Als Autor bzw. Herausgeber war Freimann an 400 Publikationen beteiligt, darunter zwei wissenschaftliche Zeitschriften.
In Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen wurde Aron Freimann 1919 zum Professor ernannt. Ein weiteres Zeichen der Wertschätzung ist die hier gezeigte Festschrift anlässlich seines 60. Geburtstages, in der sich auch die nebenstehende Widmung von Chaim Nachman Bialik aus dem Jahre 1923 findet:
לכונס סגולת רוח וגונז באוצר
.נאה דורשן, נאה שומרן ונאה מקימן
חובב ספר וסופר, יוצר ונוצר
ידיד אלהים ואנשים ר
.אהרן פרימן
מאת ח. נ. ביאליק
Dem Sammler und Walter von Geistesgütern,
der sie (trefflich) zu deuten, wahren und befolgen weiß,
Buchliebhaber und Schriftsteller, Schöpfer und Hüter,
Freund des Allmächtigen und der Menschen, Rabbi Aron Freimann,
eine Gabe der Ehre und Freundschaft.
von Ch. N. Bialik
(Übersetzung Felix D. Pinczower, Almut Laufer)
Objekte der Ausstellung
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Aron Freimanns Werke - eine Auswahl
Aus dem Bestand der Universitätsbibliothek JCS
Frankfurt am Main -
Festschrift für Aron Freimann zum 60. Geburtstage
Mit einer poetischen Widmung Ch. N. Bialiks von 1923
Alexander Marx (Hrsg.) | Berlin 1935 -
Soncino Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches
Programm der sechsten Jahresversammlung
Stadtbibliothek Frankfurt am Main | Mai 1931


Zedakah
»Wenn ich heute die vielen Jahre in denen ich mit der jüdischen Sozialarbeit in Frankfurt a/M. verbunden war, überschaue, so denke ich mit Stolz an das Werk, das von so vielen durch Jahrzehnte in mühsamer aber zielbewusster Arbeit aufgebaut wurde und mit Wehmut an das, was in so kurzer Zeit niedergerissen wurde; [...]«
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Mit diesen Worten beginnt Therese Freimann 1963 einen achtseitigen Bericht über ihr soziales Engagement und ihre Rolle beim Aufbau der jüdischen Sozialfürsorge in Frankfurt. Therese Freimanns wohltätiges Handeln im Sinne des jüdischen Gebots der Zedakah war inspiriert von zwei Menschen: ihrem Vater, Rabbiner Dr. Markus Horovitz, und der Frauenrechtlerin und Sozialreformerin Bertha Pappenheim. An der Seite Pappenheims arbeitete sie im Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg und widmete sich hier insbesondere der Kinder- und Jugendfürsorge.
Therese Freimann war des Weiteren in zahlreichen Vereinen, Initiativen und Institutionen der jüdischen Sozialfürsorge aktiv. Für ihr ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe während des Ersten Weltkrieges wurde sie 1917 mit dem Verdienstkreuz der Kriegshilfe ausgezeichnet. 1920 wurde sie in den Beirat des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde berufen und übernahm damit als erste Frau ein offizielles Verwaltungsamt der Gemeinde.
Seit 1930 war sie ehrenamtliche Präsidentin der Frankfurter Zentrale für Jüdische Wohlfahrtspflege, deren Aufbau sie zuvor gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Rabbiner Dr. Jakob Horovitz, vorangetrieben hatte. Im selben Jahr gründete sie die Jüdische Notstandsküche. Nach 1933 wurden diese Institutionen und damit auch die Arbeit Therese Freimanns überlebenswichtig für die Jüdische Gemeinde Frankfurts.
Objekte der Ausstellung
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Kinderhaus der weiblichen Fürsorge
Frankfurt a. M.-Süd (Sachsenhausen) | 1925 -
Heim des Jüdischen Frauenbundes
Neu-Isenburg, Taunusstraße 9, 1907 bis 1942,
gegründet von Bertha Pappenheim
Helga Heubach (Hrsg.) | Neu-Isenburg 1986 -
Erinnerungen aus meiner sozialen Arbeit
Typoscript
Therese Freimann | New York 1963
Jüdisches Museum Frankfurt, A 239



Stadtbibliothek
Anfang des 20. Jahrhunderts verfügte die Stadtbibliothek Frankfurt über die größte und bedeutendste Hebraica- und Judaica-Sammlung Kontinentaleuropas.Während die Anfänge der Sammlung Mitte des 19. Jahrhunderts auf Schenkungen aus der Frankfurter jüdischen Gemeinde zurückzuführen sind, war es Aron Freimann, der ihren Ausbau durch die Gewinnung weiterer Schenkungen und Spenden maßgeblich vorantrieb. Über mehr als drei Jahrzehnte gelang es ihm, den Sammlungsbestand zu vervierfachen und einige der wertvollsten Werke der jüdischen Buch- und Schriftkultur zu versammeln, darunter Handschriften, Inkunabeln, frühe Drucke und Musikdrucke sowie die umfassende Sammlung der Literatur der Wissenschaft des Judentums.
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1932 veröffentlichte Freimann den ersten Band des Katalogs der Hebraica und Judaica, der mit den Judaica alle Werke in nicht-hebräischer Schrift nach einem eigens entwickeltem thematisch geordneten System verzeichnete. Der zweite Band zu den Werken in hebräischer Schrift (Hebraica) konnte nicht mehr erscheinen und gilt als verschollen.
Freimann war 1898 zunächst als 'Wissenschaftliche Hülfskraft' eingestellt worden und wurde 1904 zum angestellten Bibliothekar befördert. Seine Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit erfolgte 1928 vergleichsweise spät.
Noch 1931 würdigten ihn die Bibliotheksleitung und der Oberbürgermeister anlässlich seines 60. Geburtstages. Weniger als zwei Jahre später, am 30. März 1933, wurde er im Vorgriff auf die nationalsozialistische Gesetzgebung "mit sofortiger Wirkung" beurlaubt und zum 1. Januar 1934 in den Ruhestand gezwungen. Nach 35 Jahren im Dienst der Stadt Frankfurt durfte er die Stadtbibliothek nicht mehr betreten.
Objekte der Ausstellung
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Katalog der Judaica und Hebraica. Erster Band: Judaica
Aron Freimann | Frankfurt am Main 1932 -
Das Einteilungssystem der Judaica in der Stadtbibliothek Frankfurt a. M.
Aron Freimann | New York 1929 -
Freimann im Kreis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtbibliothek ca. 1930
Universitätsbibliothek JCS Frankfurt am Main Archivzentrum
(UBA FFM) A 3 Nr. 128.1 -
Versetzung in den einstweiligen Ruhestand am 30. März 1933
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (ISG FFM)
A.11.02 Nr. 56.070 -
Lebenslauf Dr. Aron Freimann
Dezember 1897 | ISG FFM A.11.02 Nr. 56.070 -
Personalbogen Dr. Aron Freimann
ISG FFM A.11.02 Nr. 56.070 -
Dienstvertrag Dr. Aron Freimann mit der Stadt Frankfurt
Oktober 1904 | ISG FFM A.11.04 Nr. 196





New York
Am 12. April 1939 verließen Therese und Aron Freimann Frankfurt am Main und erreichten am 16. Mai 1939 New York City, wo ihre Tochter Helene mit Familie bereits seit einigen Monaten lebte.
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Die notwendigen finanziellen Mittel sicherten Stipendien der American Academy for Jewish Research und des Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars, ungeachtet der Tatsache, dass Aron Freimann die Altersgrenze des Hilfsprogramms bereits überschritten hatte.
Als »greatest living authority in the field of Jewish bibliography« erhielt Freimann eine Dozentur am Yeshiva College und eine Stelle an der New York Public Library. Somit konnte er seine wissenschaftliche und bibliothekarische Arbeit fortsetzen. 1946 erschien sein Gazetteer of Hebrew Printing zum frühen hebräischen Buchdruck, wohingegen der Union Catalog of Hebrew Manuscripts and their Location zunächst unvollendet blieb. Aron Freimann starb am 6. Juni 1948.
Therese Freimann setzte in New York ihr soziales Engagement fort und war auch hier in jüdischen Hilfsorganisationen wie der Arbeitsgemeinschaft Blaue Mitgliedskarte (The Blue Card) und der Selfhelp of Émigrés from Central Europe aktiv, wobei ihr die Unterstützung von Frauen und Kindern ein besonderes Anliegen war. Mit Ende des Krieges begann sie zudem umgehend, Spenden für jüdische Einrichtungen in Frankfurt am Main zu sammeln.
Darüber hinaus lag Therese Freimann das Andenken an ihren Mann und sein Werk am Herzen. Gemeinsam mit ihrer Tochter Helene strengte sie zudem mehrere Entschädigungsverfahren an. Therese Freimann starb am 4. Mai 1965 in New York.
Objekte der Ausstellung

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Union Catalog of Hebrew Manuscripts and their Location
Volume Two
Aron Freimann | New York 1964 -
Antrag auf Wohnsitzverlegung nach New York
Dr. Joseph Cahn im Auftrag des Bibliotheksrats a.D. Aron Freimann
an den Oberbürgermeister, 7. Februar 1939
Personalakte | Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
(ISG FFM) A.11.02 Nr. 56.070 -
Therese Freimann - 70 Jahre
Aufbau | 21. November 1952, S. 7 -
Therese Freimann, New York, an Izaak de Jong, Frankfurt am Main, 25. Dezember 1949
Jüdisches Museum Frankfurt, Dauerleihgabe Kurt de Jong