Judaica Digitalisierung
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Rachel Heuberger: Die Bestände der Judaica-Sammlung auf dem Weg ins Internet. Zwei Digitalisierungsprojekte an der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a.M.

Veröffentlicht in: Tribüne 39, 2000, Heft 154

Zur Judaica-Abteilung der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M, die den größten Bestand an wissenschaftlicher Literatur zum Thema Judentum und Israel in der Bundesrepublik Deutschland besitzt, gehören auch einige wertvolle alte Buch- und Zeitschriftenbestände, die den Nationalsozialismus und den Krieg fast unbeschadet überstanden haben. Viele der alten Bücher und Zeitschriften, die allmählich zu zerfallen drohen, sind in Deutschland nur noch selten zu finden und für die Forschung außerordentlich wichtig. Um den wertvollen, in seinem Erhalt gefährdeten Altbestand zu sichern und gleichzeitig den Studenten und Wissenschaftlern den Zugang zu diesem zu erleichtern, werden zur Zeit zwei Digitalisierungsprojekte durchgeführt, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert werden. Bei beiden Projekten ist die technische Vorgehensweise fast identisch ­ die Texte werden professionell verfilmt und dann per Scanning als Digitalisate gespeichert -, die Inhalte sind jedoch sehr verschieden.

Bei dem Projekt Digitalisierung der Jiddischen Drucke handelt es sich um die Sicherung und Bereitstellung der Sammlung seltener jiddischer Drucke. Diese Sammlung wurde vor dem Krieg von Prof. Aron Freimann, dem langjährigen Leiter der Judaica-Sammlung zusammengestellt und gehört zu den wenigen Hebraica-Beständen der Bibliothek, die heute noch fast vollständig vorhanden sind. Die Sammlung besteht aus ca. 1000 äußerst wertvollen jiddischen und deutsch-jüdischen Büchern, die ­ wie das Jiddische generell - in hebräischen Buchstaben gedruckt sind. Inhaltlich setzt sich die Sammlung vor allem aus Alltags- und Gebrauchsliteratur für Frauen zusammen. Hierzu gehören die zahlreichen sogenannten Weiberbibeln, die Zene-Rene-Literatur, in denen die biblischen Erzählungen für Frauen auf jiddisch zusammengefasst sind, ebenso wie Frauengebetbücher und Schriften zur Erläuterung der rituellen Gesetzesvorschriften wie das Tischgebet, das Segnen der Sabbatlichter und die familiäre Pessachliturgie. Arzneibücher, medizinische Ratgeber und pädagogische Leitfäden insbesondere zur Erziehung der Mädchen zählen ebenso zur Sammlung wie jiddische Versionen weltliterarischer Erzählstoffe und spätmittelalterlicher Volksbücher, so z.B. das Märchen »Tausend und Eine Nacht« und der »Fortunatus« in einer jiddischen Version. Eine ganze Reihe historischer Darstellungen, die vor der Französischen Revolution und vor der Emanzipation gedruckt wurden, vermitteln einen Eindruck aus dem Alltagsleben innerhalb der traditionellen jüdischen Gemeinden. Hingegen handelt es sich bei den Drucken aus dem 19. Jahrhunderts vorwiegend um nationaljüdische Belletristik der berühmten osteuropäischen jiddischen Schriftsteller wie z.b. Isaak Leib Perez, Scholem Alejchem und Schalom Asch.

Neben einer beachtlichen Anzahl von äußerst seltenen Büchern haben sich auch mehrere Unikate erhalten. Das älteste Buch dieser Sammlung stammt aus dem Jahr 1560 aus Cremona, gefolgt von einem Druck aus Basel von 1583. Die Bücher, die im 17. und 18. Jahrhundert erschienen sind, stammen vor allem aus dem fränkischen (Fürth, Wilhermsdorf) und schlesischen Raum (Dyhernfurt) sowie aus Orten im Rhein-Main-Gebiet ( Offenbach, Frankfurt, Sulzbach). Früh tauchen Prag (1604) und Amsterdam (1615) als jiddische Druckorte auf, während im 19. Jahrhundert vor allem Warschau, Wilna und andere osteuropäische Zentren jüdischen Lebens in den Vordergrund treten.

Der Zustand der Bücher, die von Anfang an als Gebrauchsliteratur stets stark benutzt wurden, hat sich im Laufe der Jahre drastisch verschlechtert. Statt sie nun kosten- und zeitaufwendig zu restaurieren und die Benutzung um der Erhaltung willen äußerst restriktiv zu handhaben, werden sie als Digitalisate im Internet allen zur Verfügung gestellt und können von jedermann mit Computer von zu Hause aus eingesehen und gelesen werden, sofern man jiddisch versteht. Da es sich um hebräische Drucktypen handelt, die noch nicht automatisch in Textverarbeitungsprogrammen (0CR) umgesetzt werden können, werden die Texte als Bild erfasst und abgespeichert. Auf diese Weise sind die Inhalte gut lesbar, in Einzelfällen sogar besser als im Original, und gleichzeitig bleiben die Charakteristika der Vorlage erhalten. Die vielfältigen technischen Möglichkeiten des PC - wie das schnelle Aufrufen der Seiten, das "Blättern im Buch" die Vergrößerung einzelner Textstellen und der Papierausdruck - sind für die Lesbarkeit der schwierigen Texte äußerst hilfreich und erleichtern den Zugang zu diesen außergewöhnlichen Materialien. Gerade für die Binnensicht der jüdischen Geschichte, u.a. für einen Einblick in das Leben der jüdischen Frauen und ihre religiösen Gebräuche stellt diese Sammlung eine äußerst wichtige Quelle dar.

Die Digitalisierung jüdischer Zeitschriften in deutscher Sprache ist das zweite Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird. Hierbei handelt es sich um ein Kooperationsprojekt der Frankfurter Judaica-Abteilung mit dem Lehr- und Forschungsgebiet Deutsch-jüdische Literaturgeschichte am Germanistischen Institut der Rheinisch-Westfälischen Hochschule in Aachen unter Leitung von Prof. Dr. Hans Otto Horch und der Bibliothek Germania Judaica in Köln unter Leitung von Frau Dr. Annette Haller.

Im deutschsprachigen Raum hat es seit 1806, als die erste deutschsprachige jüdische Zeitschrift »Sulamith« erschien, bis zum Jahre 1938, als die bis dahin noch existenten jüdischen Periodika von den Nazis verboten wurden - sieht man einmal vom offiziös noch geduldeten und missbrauchten »Jüdischem Nachrichtenblatt« ab, das erst 1943 sein Erscheinen einstellte - rund 500 jüdische Periodika gegeben. Sie stellen für die Erforschung des Judentums seit der beginnenden Neuzeit ein gar nicht zu überschätzendes Quellenreservoir dar, auf das wohl alle, die sich mit Jüdischen Studien befassen, immer wieder zurückgreifen. Gerade weil in diesen Periodika alle religiösen, politischen und sozialen Richtungen innerhalb des Judentums vertreten sind und alle Bedürfnisse ­ wissenschaftliche, berufliche, literarische, pädagogisch-didaktische ­ artikuliert werden, lassen sie sich, wie es im »Jüdischen Lexikon« (1927) heißt, als »ein getreues Abbild des jüdischen Lebens« interpretieren.

In einem ersten Projektabschnitt werden acht, inhaltlich ganz unterschiedliche Zeitschriften bearbeitet:

  • die »Allgemeine Zeitung des Judenthums« (1837-1922). Dies war die am längsten erscheinende jüdische Zeitschrift überhaupt, die von prominenten Gelehrten wie Ludwig Philippson, Gustav Karpeles und Ludwig Geiger herausgegeben wurde. Sie engagierte sich vor allem für die religiöse Reform sowie und rechtliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Juden;
    Die vier zionistisch orientierten Zeitschriften
  • »Die Welt« (1897-1914), das wöchentlich erscheinende Zentralorgan der zionistischen Organisation bis zum ersten Weltkrieg, »Ost und West«(1901-1923), die monatlich erscheinende Kulturzeitschrift, die die jüdische Neuorientierung seit der Jahrhundertwende repräsentiert, »Altneuland« (1904-1906), die in Berlin erscheinende frühe zionistische Monatsschrift und - »Palästina« (1902-1912; 1927-1938).

Eine der bedeutendsten deutschsprachigen jüdischen Zeitschriften überhaupt, »Der Jude« (1916-1924/29), die von Martin Buber als Forum für eine programmatische Neuorientierung im Sinn der "Jüdischen Renaissance" herausgegeben wurde; - und zwei wissenschaftliche Periodika: das »Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur« (1898-1931, 1936-1938), das Organ des Verbands der Vereine für jüdische Geschichte und Literatur, in dem sowohl wissenschaftliche als auch belletristische Schriften veröffentlicht wurden sowie die »Mitteilungen des Gesamtarchivs der Deutschen Juden« (1908-1914/15, 1926), die von dem bedeutenden Historiker Eugen Täubler mitbegründet und herausgegeben wurden.

Die Periodika sind - insbesondere infolge der Verluste während des Nationalsozialismus - in ihrer großen Mehrzahl nur schwer zugänglich und in der Regel in den Bibliotheken kaum vollständig zu finden. Selbst wenn alle Jahrgänge an einer Stelle vorhanden sind, dann nur in den verschiedenen Formen wie Original-Papierausgabe, Reprint, Mikrofilm und -fiche, die der Student alle erstmal zur Durchsicht bestellen muss.

Die jüdischen Zeitschriften werden wie die jiddischen Drucke professionell verfilmt und digitalisiert, allerdings mit dem Unterschied, dass sie nicht nur als Bilder sondern als Volltexte abgespeichert werden. Alle Zeitschriftenaufsätze werden katalogisiert und sind dann über Verfasser und Titel in lokalen und überregionalen Katalogen suchfähig. Des weiteren wird für die in Antiqua gesetzten Zeitschriften eine automatisierte Volltexterkennung (OCR) realisiert werden, die eine Wortsuche im Text ermöglicht. Ein Teil der Texte wird zusätzlich mit Schlagworten inhaltlich erschlossen werden und mittels einer Datenbank den gezielten Zugriff auf gesuchte Informationen bieten. Der bei der Arbeit erstellte Schlagwortindex soll zugleich die Grundlage für eine entsprechende inhaltliche Erschließung weiterer Periodika bilden. Über ein Datenbankverwaltungssystem stehen die Texte allen Interessierten im Internet zur Verfügung und können über Stich- oder Schlagworte gezielt durchsucht werden. Damit wird die bisherige mühselige Arbeit des stundenlangen "Durchforstens" dieser Zeitschriften nach den gerade benötigten Informationen, die jeder der sich mit Jüdischen Studien beschäftigt, am eigenen Leib erfahren hat, endlich wegfallen. Weitere Informationen sind im Internet unter http://www.compactmemory.de zu finden.

Das deutsche Judentum war für die Entwicklung der modernen jüdischen Identität in der Diaspora von zentraler Bedeutung und ist daher bis heute für weltweit durchgeführte Forschungen von Interesse, die sich auf die im deutschsprachigen Raum erscheinenden jüdischen Periodika als wichtige Quelle stützen. Dieses Projekt wird allen, die im Bereich der Jüdischen Studien forschen, seien es Historiker, Judaisten, Theologen, Philologen, Kunstwissenschaftler oder Kulturanthropologen, einen schnellen und effektiven Zugriff auf die Quellen ermöglichen, einen bequemen allemal.

Rachel Heuberger

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zuletzt geändert am 15. Oktober 2024