Gegen den Verkauf von Handschriften aus der Landesbibliothek Karlsruhe
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Erklärung der Leiter der deutschen Handschriftenzentren gegen den geplanten Verkauf von Handschriften aus dem Bestand der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe

Gegen den geplanten Verkauf von Teilen der bedeutenden Karlsruher Handschriftensammlung haben bereits zahlreiche Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Bibliotheken und öffentlichem Leben massiven Einspruch erhoben und gewichtige Argumente vorgebracht. Auch wir, die Vertreter der deutschen Handschriftenzentren, sind fassungslos und protestieren entschieden gegen die Pläne der baden-württembergischen Landesregierung.

Als Leiter derjenigen Institutionen, an denen seit Jahrzehnten die wissenschaftliche Erschließung der deutschen Handschriftenbestände hauptsächlich erfolgt, haben wir täglich vor Augen, welche Bedeutung die handschriftliche Überlieferung für unser Wissen über die eigene Vergangenheit hat. Und wir erleben unmittelbar, welchen nicht zu heilenden Verlust es bedeutet, wenn Handschriften aus ihrem Sammlungskontext entfernt oder gar dem öffentlichen Zugang entzogen werden.

Was wir über die Kenntnisse der Menschen aus der Zeit bis zum frühen 16. Jahrhundert und die geistigen Auseinandersetzungen in diesen Jahrhunderten wissen, das beziehen wir aus den Manuskripten, die die Zeiten überdauert haben. Jede Handschrift ist ein Unikat, ein unersetzliches Stück in einem großen Puzzle, das ohnehin schon viele Lücken hat. Wer ein solches Stück der Öffentlichkeit entzieht, läßt einen weiteren blinden Fleck entstehen.

Jede Handschrift steht aber nicht isoliert für sich, sondern war stets Teil einer Sammlung und wird nur in diesem Kontext erst richtig verständlich. Sie steht mit den anderen Bänden der Sammlung in einem vielfältigen Kommunikationszusammenhang, der nur ersichtlich ist, solange der Sammlungszusammenhang erhalten bleibt. Die ehemaligen Kloster- und Adelsbibliotheken, die in der Badischen Landesbibliothek bewahrt werden, sind dort jeweils geschlossen aufgestellt - ein Glücksfall für die historische Erforschung. Was hier steht, gehört zusammen und darf nicht getrennt werden.

Besonders absurd ist die Vorstellung, innerhalb des Karlsruher Handschriftenbestandes ließe sich eine Trennung in badische und für Baden nicht relevante Stücke vornehmen. Wissen und geistige Austauschprozesse waren schon immer überregional. Jede Handschriftensammlung beherbergt daher Stücke aus unterschiedlichsten Gebieten. Für die Geschichte ist ebenso wichtig, was vor Ort produziert wie was vor Ort rezipiert wurde. Wer hier das bloße Herkunftsprinzip anwenden will, offenbart eine beschämende und provinzielle Bildungsferne.

Noch heute leiden wir unter der Vernichtung und Zerstreuung historischer Buchbestände durch Säkularisierungen und Kriege in den vergangenen Jahrhunderten. Niemand von uns hätte sich vorstellen können, daß eine Landesregierung hier aktiv weiteren Schaden anrichten würde und auf die Idee käme, das, was für die Allgemeinheit in öffentliche Sammlungen hinübergerettet werden konnte, zugunsten adliger Privatbesitzer zu veräußern.

Kein Politiker hat das Recht, das Volk seiner geistigen Vergangenheit zu berauben. Der Verkauf von Handschriften aus der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe muß verhindert werden.

gezeichnet:
Dr. Helmar Haertel, Abteilung Handschriften und Sondersammlungen, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel
Dr. Christoph Mackert, Handschriftenzentrum Universitätsbibliothek Leipzig
Prof. Dr. Eef Overgaauw, Zentrum Handschriftenkatalogisierung Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Prof. Dr. Herrad Spilling, Handschriftenzentrum Württembergische Landesbibliothek Stuttgart
Dr. Bernhard Tönnies, Handschriftenzentrum Universitätsbibliothek Frankfurt/Main
Dr. Bettina Wagner, Handschriftenerschließungszentrum Bayerische Staatsbibliothek München

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zuletzt geändert am 15. Oktober 2024