Die Restaurierung der Daguerreotypien aus dem Schopenhauer-Archiv
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Die Restaurierung der Daguerreotypien aus dem Schopenhauer-Archiv

Das Frankfurter Schopenhauer-Archiv besitzt in seiner Bildersammlung zehn Daguerreotypien, von denen neun das Porträt des Philosophen zeigen. Die zehnte gibt uns ein Bild von Schopenhauers Geliebter Caroline Medon. Sieben der neun Schopenhauer-Bildnisse sind als Legat nach Schopenhauers Testament vom 26. Juni 1852 der Frankfurter Stadtbibliothek zugesprochen worden: "VII. Der Frankfurter Stadtbibliothek vermache ich die mit F. S. B. hinten bezeichneten Daguerreotype."

Testament Schopenhauers

Schopenhauer selbst hat sich für diese revolutionäre Möglichkeit der Bilderzeugung und ihre kulturelle Bedeutung sehr interessiert. In seinen gedruckten Werken, in Briefen und in Gesprächen geht Schopenhauer immer wieder auf die neue Technik ein und hebt die intellektuelle Bedeutung der Erfindung hervor, betont deren Wert für die Physiognomik, findet seine Auffassung vom subjektiven Charakter der Farbe bestätigt und setzt sich mit technischen Einzelproblemen auseinander. In seinen Zettelkästen, in denen er unter der Aufschrift "philosophari" Exzerpte und eigene kleine Notizen sammelte, befindet sich ein Papier von der Größe einer Postkarte mit folgendem Text:

"Daguertype: Das Jod geht eine wirkliche
Verbindung mit dem Silber ein,
wird Jodure d'argent.
Das Licht reducirt diese Jodure zu Silber
wo Schatten war, bleibt sie.
[durchstrichene, unleserliche Zeile]
Das [Symbol Quecksilber/ Merkur] amalgamirt sich mit dem
Silber, welches aus der Jodure reducirt ist.
Die Schwefel-Soda Auflösung nimmt
[durchstrichen] die Jodure weg wo
Schatten war: läßt also daselbst reines
polirtes Silber: dies [durchgestrichen: spie] re-
flectirt nachher das Licht
dunkler als die Stelle wo
Amalgam ist. - Der Effekt
ist also bloß mittelst der Ver-
schiedenheit der Lichtreflexion
verschiedener Metalle, nämlich
zwischen polirtem Silber (dunkel) u.
merkurialisirter Fläche (hell). [durchgestrichen: Am...]
Fyte, Edinborough

Von den 17 Daguerreotypien mit dem Bildnis Arthur Schopenhauers, die Arthur Hübscher in seiner Arbeit über die Schopenhauer-Bildnisse aufführt, tragen sieben auf ihrer Rückseite Schopenhauers eigenhändigen Vermerk, der sich aus dem Datum der Aufnahme, dem Kürzel F. S. B. und dem Namenszug des Philosophen zusammensetzt. Diese sind alle im Bestand des Archivs vorhanden. Darüberhinaus gibt es noch zwei weitere Aufnahmen, deren eine Schopenhauer 1851 seinem "Erzevangelisten" Julius Frauenstädt geschenkt hatte (was durch eine handschriftliche Echtheitsbestätigung Gwinners zusätzlich beglaubigt), die zweite stammt vom 18. Mai 1855 und wurde vom Schopenhauer-Archiv 1933 aus dem Nachlaß Dr. Franz L. May gekauft. Das Porträt der Caroline Medon ist in den "Schopenhauer-Bildnissen" nicht beschrieben. Es wurde vom Schopenhauer-Archiv 1942 aus dem Besitz der Nachfahren Caroline Medons erworben.

Diese zehn Beispiele der frühen technischen Produktion von Bildern bilden einen äußerst wertvollen Teil der Bestände des Schopenhauer-Archivs nicht nur für die Schopenhauer-Forschung, sondern auch für die Geschichte der Photographie und ihrer Vorläufertechniken. Von allen Originalen waren bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts photographische Aufnahmen gemacht worden, die als Vorlagen für Publikationen dienten. Die früheste Daguerreotypie aus dem Jahre 1842 war aber bereits in den dreißiger Jahren so schwarz geworden, daß auf ihr nichts mehr zu erkennen war. Eine damalige Restaurierung der im Archiv befindlichen Stücke hat relativ wenig gebracht, und es ist für uns heute höchst problematisch, daß von diesen Versuchen keine Dokumentation erhalten ist, so daß man nicht feststellen kann, mit Hilfe welcher Techniken und welcher chemischer Substanzen an den Objekten gearbeitet worden ist. Insgesamt wurde der Zustand bereits 1911 beklagt: "Die Daguerreotypien befinden sich im Original in der Frankfurter Stadtbibliothek ... Die Bilder zersetzen sich leider unter dem Einfluß des Lichtes immer mehr, so daß man sie fast nur noch in günstigen Seitenansichten sehen kann."

Inzwischen ist das Schopenhauer-Archiv mit seinen Sammlungen durch Auslagerung im Zweiten Weltkrieg und mehreren Ortswechseln in der Nachkriegszeit so oft umgezogen, daß die Alterung der Daguerreotypien beschleunigt wurde und Beschädigungen durch Transport und Zeit nicht ausbleiben konnten. Außerdem sind an den Bildern in der Vergangenheit unsachgemäße Reparaturen mit farblosen Klebstreifen vorgenommen worden, die zusätzliche Probleme mit sich brachten. Die luftdichte Abschließung der Silberplatten in den Rahmen war in den meisten Fällen zerstört, so daß Luft und mit ihr Feuchtigkeit und Staubpartikel eindringen konnten.

Nach eingehenden Informationsgesprächen haben wir uns entschieden, den Auftrag der Photorestauratorin Marjen Schmidt in Oberhausen (Bayern) zu erteilen.

Ihre Arbeit hat Frau Schmidt mit einer umfangreichen Dokumentation in Wort und Bild begleitet. Die vorliegende Darstellung stützt sich im folgenden weitgehend auf diese wertvolle Quelle. Alle Bilder wurden aus ihren Rahmen gelöst, die abdeckenden Glasplatten, die Passepartouts und die Rahmen wurden gereinigt. Verklebungen, die in der Vergangenheit mit Tesa-Film vorgenommen waren, mußten entfernt werden. Holzhaltige Rückenpappen wurden entfernt, ebenso die Holzbrettchen die einige Exemplare statt der Pappe hatten, da sie sich im Laufe der Zeit so verzogen hatten, daß eine luftabschließende Wiedereinsetzung nicht möglich war. Papier, das auf diesen Pappen oder Brettchen geklebt hatten, wurde separat beigegeben, so daß alle Zeugnisse, Handschriftliches und Stempel, bei den einzelnen Stücken erhalten blieben. Die gereinigten Teile wurden dann wieder zusammengesetzt und in speziell angefertigten Kästchen aus Ingrèspapier eingelegt, so daß nun für Aufbewahrung und Transport eine sichere Hülle gegeben ist.

Die Gelegenheit, alle Daguerreotypien einmal aus ihren Rahmen herausgelöst zu sehen, brachte einige interessante zusätzliche Informationen zutage. Zwei der Platten sind galvanisch beschichtet, bei den übrigen ist die Silberschicht mechanisch aufgewalzt. Drei Platten (die Hübscher Nummern 59, 61 und 76) tragen Prägestempel, die über den Hersteller der Platte und den Silbergehalt Auskunft geben. Die Porträtkünstler sind bei vier Aufnahmen eindeutig zu bestimmen:

Firmenetikett LelancDie Nr. 63 trägt auf der Rückseite das Etikett: Porträts au Daguerreotype // C. L. Leblanc // (de Paris ) // à Francfort sur Mein [!] // Le pavillon est ouvert touts les jours depuis 8 heures // du matin à 5 heures du soir [dazu handschriftlich :] Eschernheimer Thor, Grüneberg's Garten.

Dieses Porträt gehört vermutlich zu denen, die Schopenhauer in einem Brief an seinen Freund Julius Frauenstädt vom 30. Oktober 1851 erwähnt und in dem der Philosoph zu dem Ausbruch hinreißen läßt: "Ich ließe gern 1/2 Dutzend machen: allein der jetzige hiesige Daguerreotypeur ist ein so unerträglicher, unbeschreiblich widerwärtiger Klotz und Pflegel, daß schon seine Gegenwart mir ein verdrießliches Gesicht aufsetzt. Vorletzten Sommer saß ich bei ihm bereits vor der Maschine: er benahm sich aber so, daß ich plötzlich aufsprang, Hut und Stock ergriff und zur Thür hinaus. Er ist der Einzige hier, der gute Maschinen hat. Es ärgert mich, daß dem so ist. Da hab ich von Andern 2 große Photographen machen lassen: sie sind sorgfältig ausgemalt, aber schändliche Karikaturen ... Diese Fratzen mag ich Ihnen nicht schicken: also sollen Sie das mit dem der Mad. Mertens gleichzeitig gemachte haben; ich sehe darauf indignabundus aus, als stünde ich eben von der Abhandlung über die Universitätsphilosophie auf. Halten Sie es in Ehren: denn jedenfalls werde ich nicht wieder so jung daguerreotypirt. Wenn der Himmel uns doch einen Französischen Daguerreotypeur zuführte! Mit den Deutschen ist's nichts, den klotzigen Eseln." Es ist dies also die erwähnte Aufnahme eines Franzosen. Ob neben der Qualität des Künstlers auch die Tatsache eine Rolle spielt, daß das Bild zum Zeitpunkt des Verschenkens Schopenhauer fünf Jahre jünger zeigt, sei dahingestellt.

Die Nummern 73, 74 und 76 tragen jeweils dasselbe Etikett: Photographisches Institut // von // Jacob Seib // Hochstrasse No 16 // Frankfurt a/M.

Die Restaurierung dieser Aufnahmen war möglich geworden, weil eine Anzahl kleinerer und vier sehr große Spenden zusammengetragen werden konnten. Der Schopenhauer-Gesellschaft, der Gesellschaft der Freunde der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt, dem Frankfurter Museum für Regionalkunst im Giersch-Haus und Herrn Dr. Eberhard Mayer-Wegelin sowie allen anderen Spendern sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Jochen Stollberg
Gekürzte Fassung eines im 85. Schopenhauer-Jahrbuch 2004 veröffentlichten Aufsatzes

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zuletzt geändert am 26. September 2022

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